Nach der DIN 69901 wird ein Projekt als „ein Vorhaben, das im Wesentlichen durch die Einmaligkeit der Bedingungen in ihrer Gesamtheit gekennzeichnet ist wie z. B.: Zielvorgabe, zeitliche, finanzielle, personelle oder andere Bedingungen, Abgrenzungen gegenüber anderen Vorhaben und projektspezifische Organisation“ definiert. Neben Merkmalen wie Neuartigkeit und der Notwendigkeit von Teamarbeit steht ein Projekt vor allem für Komplexität. Komplex meint, dass „viele voneinander abhängige Merkmale in einem Ausschnitt der Realität“ (Dörner, S. 60) existieren und damit hohe Anforderungen an die Fähigkeit eines Projektleiters gestellt werden, Informationen zu sammeln, Handlungen zu planen und Entscheidungen zu treffen. Es ist jedoch nicht allein die Existenz von vielen Variablen, die Komplexität zu einer großen Herausforderung macht. Erst die Vernetztheit, also die zwischen einzelnen Elementen eines Projektes existierenden Verknüpfungen, erfordert eine parallele Beachtung und hat zur Folge, dass man sich (fast) nie mit nur einer Sache beschäftigt. Ein Projekt ist ein System interagierender Teilsysteme. Jeder Eingriff, der einen Ausschnitt des Systems betrifft oder betreffen soll, hat immer auch Auswirkungen auf viele andere Teile des Systems. Wer Projektmanagement betreibt, muss also dem Anspruch genügen, in Zusammenhängen, sprich vernetzt, denken zu können.
Unser Gehirn – ein Troubleshooter
Leider ist die „Mechanik“ menschlichen Denkens (und Handelns) evolutionsbedingt eher darauf ausgelegt, Probleme lediglich ad hoc bewältigen zu können. Es ging um das Sammeln von Feuerholz für den nächsten Winter oder um den Bau von Mammutfallen. Diese Problemstellungen hatten meistens keinen über sich hinausgehenden Einfluss. Unsere prähistorischen Ahnen hatten es nicht nötig gehabt, in größeren Zusammenhängen als diesen entscheiden zu müssen. Ihr Gehirn war auf „Troubleshooting“ ausgerichtet. Ein Problem wurde bewältigt (oder vielleicht auch nicht) und fertig. Die Notwendigkeit, über die Situation hinaus zu planen oder in den Kontext anderer Probleme zu setzen, hatte Seltenheitswert.
Die komplexe Welt unserer Projekte von heute ist definitiv von einem anderen Kaliber. Säbelzahntiger und Mammuts haben sich stark verändert. Intransparenz als stünde man – bildlich gesprochen – vor einer Milchglasscheibe, Polytelie (Vielzieligkeit) oder die Neuartigkeit einzelner Handlungsbereiche, die in ihrer Konsequenz Hypothesenbildung und Exploration mit sich bringen, verlangen ein wesentlich umfangreicheres Anforderungsprofil, wenn man das System „Projekt“ erfolgreich managen will. Kaum berechenbare Eigendynamiken, unkalkulierbare Neben- und Fernwirkungen, aber auch das Planen mit Ungefährlösungen aufgrund fehlender Informationen sind projektspezifische Rahmenbedingungen, die menschliches Fehlverhalten unvermeidbar machen. Projektmanagement wird unter solchen Voraussetzungen zu einem echten Drahtseilakt und garantiert menschliches Versagen. Gute Projektleiter zeichnen sich deshalb nicht unbedingt dadurch aus, dass sie unter allen Umständen versuchen wollen, alles richtig zu machen. Vielmehr kommen sie ihrer Führungsrolle nach, wenn sie sich selbst und ihren Projektmitarbeitern im Rahmen ihrer Planung und Steuerung bewusst machen, welche Fehler auftreten können und wie man das Ausmaß von Fehlverhalten gering(er) halten kann.
Mit dem Rumpelstilzcheneffekt, der Einkapselung, dem ballistischen Entscheidungsverhalten und dem Bermuda-Dreieck namens Kommunikation stelle ich 4 typische Projektfallen vor.
Der Rumpelstilzcheneffekt
Heute brau’ ich, morgen back’ ich , übermorgen hol’ ich der Königin ihr Kind.“ Der Tendenz zu einem unrealistischen Planungsoptimismus (Strohschneider & von der Weth, 2002) unterliegt nicht nur Rumpelstilzchen im 1812 erstmals veröffentlichten Märchen der Gebrüder Grimm. Der „Rumpelstilzcheneffekt“, also der Hang, den jeweils günstigste Verlauf bei einer Projektplanung anzunehmen und dabei, mögliche Friktionen und Störungen, sogenannte Risiken zu übersehen oder massiv zu unterschätzen, gehört zu den prominentesten Projektfallen. General Clausewitz spricht im Buch „Vom Kriege“ von der Nichtbeachtung von Friktionen („Unwägbarkeiten“).
Noch immer gehört Risikomanagement in der Planung, aber auch in der Phase der Steuerung nicht zum Standardrepertoire des Projektmanagements in Unternehmen. Beachte: Wer kein Risikomanagement betreibt, betreibt riskantes Management!
Einkapselung
Der Weg des Planens, Entscheidens und Handelns in komplexen Projektrealitäten ist für viele Projektverantwortliche immer wieder mit neuen Hiobsbotschaften, Misserfolge, Pannen oder unerwarteten Enttäuschungen verbunden. Es ist daher kaum verwunderlich, wenn dies vermehrt zur „Einkapselung“ in (einigermaßen) beherrschbare Realitätsausschnitte führt. Der verunsicherte und nach kleinen Projekterfolgen sinnende Projektleiter sucht seine Aufgaben nicht mehr nach deren Wichtigkeit und Dringlichkeit aus, sondern nach der individuellen Bewältigbarkeit, also nach der Erfolgswahrscheinlichkeit. Er macht (nur noch) das, was er kann und ignoriert irgendwann, was wirklich wichtig und möglicherweise dringlicher wird.
Konstruktive Feedback- oder vielmehr Fehlerkulturen sind in Unternehmen so häufig anzutreffen wie die Blaue Mauritius. Dabei wäre gerade die Gefahr der Einkapselung eine willkommene Gelegenheit, sich kontinuierlich Feedback zum eigenen Handeln geben zu lassen. Ein Hofnarr im Projekt, einer, der die Prokura hat, den Entscheidern den Spiegel vorhalten zu dürfen, ist essentiell. Der bayrische Automobilhersteller BMW hat im Rahmen seines Qualitätsmanagements einen QSP (Qualitätssicherer im Projekt) etabliert. Mit dem Projektleiter auf Augenhöhe agiert er als Souffleur und schlechtes Gewissen mit der Lizenz zum „Finger in die Wunde halten“, um Risiken im Rahmen der Qualitätsarbeit über den gesamten Projektverlauf aufzuzeigen.
Ballistisches Entscheidungsverhalten
Oftmals agieren selbst erfahrene Projektleiter mit der Haltung: Aus den Augen, aus dem Sinn! Entscheidungen, die einmal getroffen wurden und sozusagen vom eigenen Tisch sind, geraten (u.a. aufgrund der Informationsfülle, die auch noch auf dem Schreibtisch liegt) in Vergessenheit. Amnesie? Kalkül? Nein, menschlich. Das ballistische Entscheidungsverhalten im Sinne von „fire and forget“ hat zur Folge, dass Entscheidungen wie eine Kanonenkugel abgefeuert werden und ihr Verlauf, ähnlich dem Flug einer Kanonenkugel, unkontrollierbar und nicht mehr steuerbar wird. Leider wäre dies nur allzu nötig und im Gegensatz zu Kanonenkugeln sogar (menschen-)möglich. Viele Entscheidungen kommen tatsächlich bei dem Verantwortlichen gar nicht an, weil sie in dem Hierarchie- und Kompetenznirvana der Unternehmen versanden oder sie kommen – Flüsterpost lässt grüßen – in einer vollkommen anderen Form an. In beiden Fällen wird der Projektleiter jedoch, wenn überhaupt, nur sehr verspätet bzw. zu spät von der „Ankunft“ zurückinformiert.
Kontrolle im Entscheidungsprozess ist ein essentielles Führungsinstrument. Statusmeldungen, regelmäßige Rücksprachen und Decisions-LOPs gehören zum Rüstzeug jedes Projektleiters. Erneut muss es jedoch das Ziel sein, eine Kultur der Rückmeldung im Pull-Modus zu ermöglichen. Das Zauberwort lautet Delegation via Autonomie. Die vertrauensvolle Übergabe von Verantwortung, indem Zwischenstände von Entwicklungen gegeben werden, dient als effektives Führungswerkzeug.
Bermuda-Dreieck namens Kommunikation
Ohne Kommunikation ist alles nichts. Es ist gibt wohl keine Studie über den Erfolg bzw. Misserfolg von Projekten, die nicht Kommunikation als Kern allen Übels evaluiert: zu wenig, gar keine, zu spät, etc. Trotzdem ist gute Kommunikation in Projekten Mangelware. Die aktuelle Projektmanagementliteratur bietet in dieser Hinsicht wenig Neues. Standardwerkzeuge wie Kommunikationsmatrixen, Meeting-Guides oder Newsletter haben ihre Berechtigung, sind jedoch in ihrer Wirkung eher bescheiden. Wer führen möchte, sollte lernen, sich selber zu führen. Kommunikation beginnt bei jedem selbst. Ich empfehle ein Mehr an Emotionaler Intelligenz: Selbstwahrnehmung, -management, soziales Bewusstsein und die Pflege von intensivem Beziehungsmanagement haben die Kraft, die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu überwinden. Meine Hypothese zum Schluss: Mehr menschliche Reife an den Schlüsselpositionen bedeutet effektive Kommunikation führt zu erfolgreicheren Projekten.
Literatur
- Dörner, D. (2011). Die Logik des Misslingens. Strategisches Denken in komplexen Situationen. Rororo.
- Schaub, H. (2006). Störungen und Fehler beim Denken und Problemlösen. Heidelberg
- Strohschneider, S. & von der Weth, R. (2002). Ja, mach nur einen Plan. Bern: Huber.
- Wehner, T. & Stadler, M. (1996). Gestaltpsychologische Beiträge zur Struktur und Dynamik fehlerhafter Handlungsabläufe. In J. Kuhl & H. Heckhausen: Motivation, Volition und Handlung, Band 4, S. 795-815. Hogrefe.